Neues Zuhause: Die letzte Sycamore hat im Hangar 7 am Salzburger Flughafen eine neue Einsatzbasis gefunden. (Bild: PD)
Die Letzte ihrer Art
Der letzte flugfähige Helikopter des Herstellers Bristol, eine Sycamore, flog zwei Jahrzehnte in der Schweiz. Jetzt geht das Unikat in Salzburg.
Mit freundlicher Genemigung der "Neue Züricher Zeitung" ein Beitrag von Jürgen Schelling (30.09.2019)
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Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs startet die südenglische Bristol Aeroplane Company die Entwicklung eines Helikopters für die Nachkriegsära. Denn für ihre in den letzten Jahren hergestellten Kampfflugzeuge oder Bomber besteht nun kein Absatzmarkt mehr. Auch mit dem Beginn der Automobilproduktion wird erst 1946 begonnen. Dieser Bereich wird 1959 unter dem Namen Bristol Cars selbständig. Also heisst es für die Verantwortlichen des Flugzeugbauers umdenken. In nur zwei Jahren nimmt der erste komplett in Grossbritannien gebaute Helikopter Form an, die 171 Sycamore. 1947 klappt der Jungfernflug. 1949 folgt Prototyp Nummer zwei. Das in vielen Punkten verbesserte Modell bietet nun Platz für den Piloten und vier Passagiere.
Wie es sich für ein britisches Fluggerät gehört, sind manche technischen Lösungen eher speziell, um nicht gleich das Wort skurril zu benutzen. So sind die Rotorblätter nicht aus Metall, sondern aus Holz. Aber nicht aus irgendeinem Holz, es muss schon Ahorn aus Australien sein. Einen Sternmotor liegend hinter den Rücksitzen der Passagiere einzubauen – auch diese Bristol-Lösung wird wegen der schwierigen Kühlung von keinem anderen Helikopterbauer übernommen. Deshalb bekommt der 525 PS starke Neunzylinder eigens ein Kühlgebläse angeflanscht. Auch die Trimmung des Helikopters ist very british: Mithilfe zweier elektrischer Pumpen und eines Leitungssystems kann der Pilot jeweils 27 Liter Wasser zwischen zwei unter dem Cockpit und am Heck angebrachten Tanks hin- und herpumpen. Dadurch bleibt der Schwerpunkt im Flug trotz sich leerenden Treibstofftanks oder aussteigenden Passagieren im zulässigen Bereich. Diese Lösung ist allerdings extrem exotisch und erfordert volle Konzentration vom Piloten. Dabei hat er im Helikopter ohnehin schon immer alle Hände voll zu tun. Immerhin ist der Hauptrotor aber so fortschrittlich konzipiert, dass seine Blätter gemeinsam nach hinten gedreht werden können. Das spart Platz im Hangar oder beim militärischen Einsatz auf Marineschiffen.
Den historischen Helikopter zu fliegen, gelingt heute nur noch wenigen Piloten. (Bild: PD)
Eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 200 km/h und die Reichweite von etwa 400 Kilometern gelten in den 1950er Jahren, der Frühzeit der Helikopterära, aber als hervorragende Werte. Deshalb wird die Sycamore zum Erfolg für Bristol und in 180 Exemplaren bis 1959 gebaut.
1957 entsteht im Bristol-Werk in Weston-super-Mare für die deutsche Bundeswehr der Helikopter mit der Seriennummer 13475. Nach der Beendigung ihrer Militärlaufbahn 1969 gelangt diese Maschine zunächst an zwei Halter in Deutschland und anschliessend zu einem flugbegeisterten Schweizer. Peter Schmid, Weinbauer in Berneck im St. Galler Rheintal nahe des Bodensees, will sich den Traum einer eigenen Sycamore verwirklichen. Das klappt im Jahr 1988. Ihm gelingt es, sogar zwei Maschinen zu kaufen und beide von Hannover an den Bodensee-Flughafen St. Gallen-Altenrhein zu überführen. Dort sind sie von nun an mit ihren neuen Kennungen HB-RXA und HB-RXB oft zu sehen. Schmid gefällt das damals froschgrüne Design seiner HB-RXB aber nicht. Deshalb bekommt dieser Helikopter das Farbschema einer Sycamore, die als VIP-Transporter bis 1972 bei der Royal Air Force eingesetzt wurde. Das wiederum ist kein einfaches Unterfangen. Denn nur durch grossen persönlichen Einsatz erhält Schmid eine Sondergenehmigung der Queen von England. Daher darf seine Maschine trotz HB-Registrierung die Farben der Royal Air Force und deren Hoheitszeichen tragen. Die Erlaubnis wird Schmid allerdings, typisch britisch, nur unter der strengen Auflage erteilt, dass seine Sycamore der Royal Air Force immer nur Ehre erweisen dürfe. Das auffällige Design ist bis heute ihr Markenzeichen.
Ahornholz aus Australien bildet die Basis für die Rotoren der Sycamore. (Bild: PD)
Aber wie kommt ein Helikopter vom schweizerischen Berneck ins oberösterreichische Salzburg? Die Antwort lautet: Dieter Hasebrink. Der Deutsche ist ehemaliger Bundeswehrtechniker und gilt als der Sycamore-Spezialist schlechthin. Denn die deutschen Streitkräfte musterten alle ihre Sycamores Ende der 1960er Jahre aus und verkauften sie auch an Privatleute. Hasebrink kennt jedes der aussortierten Exemplare und war bei vielen an der Wartung beteiligt, auch bei den beiden Exemplaren von Peter Schmid, dessen HB-RXA heute im Fliegermuseum Altenrhein steht. Der Schweizer Heli-Fan und bis 2012 langjährige Chef des Weinguts in Familienbesitz will seinen seltenen Heli HB-RXB in Royal-Air-Force-Farben nach zwei Jahrzehnten im beginnenden neuen Jahrtausend in andere Hände geben. Sein sehnlicher Wunsch dabei: Die Sycamore soll nicht in ein Museum wandern, sondern weiter fliegen.
Ortswechsel nach Österreich, Flughafen Salzburg. Alle klassischen Helikopter und Flugzeuge der Flying Bulls im futuristischen Hangar 7 oder im gegenüberliegenden Wartungshangar mit der Nummer 8 erscheinen trotz ihrem Alter von meist mehreren Jahrzehnten wie frisch aus der Fabrik. Manche sind vermutlich im Besser-als-neu-Zustand. Damit der Flugbetrieb mit den seltenen Klassikern reibungslos und sicher über die Bühne geht, sind neben erfahrenen Piloten auch hochqualifizierte Mechaniker und Techniker mit der Wartung oder Restaurierung der Maschinen beschäftigt.
Die Instrumente, Pedale und Steuerknüppel deuten auf das hohe Alter des historischen Helikopters hin. (Bild: PD)
Aus Sicherheitsgründen und aufgrund der markanten Unterschiede im Betrieb von Drehflüglern und Flugzeugen gibt es gleich zwei Chefpiloten bei der Luftfahrtabteilung des Süssgetränkekonzerns, einen für Helikopter und einen für die Flächenmodelle. Siegfried «Blacky» Schwarz ist seit vielen Jahren Chefpilot für die Helikopter der Flying Bulls. Der Österreicher mit einer extrem seltenen Kunstfluglizenz für Helikopter steuert alte und moderne Helikopter im Wechsel. Die Klassiker des fliegenden Museums werden alle im Sichtflug nach dem Prinzip «Sehen und gesehen werden» gesteuert.
Alle Piloten bei den Flying Bulls sind extrem erfahren und auf ihrem jeweiligen Helikoptermuster hochspezialisiert. Wohl auch durch dieses professionelle Umfeld wird Sycamore-Spezialist Hasebrink auf Blacky Schwarz aufmerksam. Er schreibt ihm 2007 deshalb einen Brief. Kurz darauf läutet sein Telefon: «Hier ist Siegfried Schwarz wegen der Sycamore.» Dieses Gespräch ist der Beginn der Verhandlungen. Es dauert aber noch drei Jahre, bis die Bristol 171 aus der Schweiz zu den Flying Bulls nach Salzburg übersiedelt. Weil es keinen einzigen Piloten mehr gibt, der die seltene Sycamore fliegen kann, geschieht dies per Tieflader.
Learning by Doing: Blacky Schwarz hat sich das Fliegen der Sycamore selbst beigebracht. (Bild: PD)
Die Maschine ist heute so selten, dass nicht mehr auf Erfahrungen von Piloten oder Wartungspersonal zurückgegriffen werden kann, so wie es sonst bei fliegenden Oldies üblich ist. Also wird quasi komplett neu angefangen. Blacky Schwarz und Dieter Hasebrink entwickeln gemeinsam ein Testflugprogramm für die österreichische Luftfahrtbehörde Austro Control. Die ist das Pendant zum schweizerischen Bundesamt für Zivilluftfahrt und muss entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein historisches Fluggerät wie die Sycamore wieder in die Luft gehen kann. Das ist kompliziert, denn in Österreich war nie eine Maschine dieses Typs zugelassen. Dementsprechend aufwendig gestaltet sich dieses Unterfangen für die Flying Bulls.
Blacky Schwarz hingegen muss sich das Fliegen des Oldtimers im Do-it-yourself-Verfahren beibringen. Denn es gibt weltweit keinen Fluglehrer oder zumindest Piloten mehr mit einem sogenannten Type-Rating für eine Sycamore. Flüge in verschiedenen Höhen und mit wechselnden Geschwindigkeiten stehen nun ebenso wie ausgiebiger Schwebeflug auf dem Pflichtenheft der Flugerprobung. Ganz wichtig auch: wie sich die Sycamore bei einer Autorotation verhält. Dabei wird getestet, wie sich der Heli nach einem simulierten Triebwerksausfall noch landen lässt.
Stippvisite: Die OE-XSY war wieder einmal in der britischen Heimat zu Gast und stattete auch London einen Besuch ab. (Bild: PD)
Am 1. Februar 2016 ist es endlich so weit. Die Sycamore erhält die Zulassung durch die Austro Control und das Kennzeichen OE-XSY. Seither ist sie oft in der Luft und scheut auch grössere Reisen nicht, so etwa 2018 eine Tournee durch England, ihre alte Heimat. Auf gleich fünf Air-Shows wird sie dort zur Begeisterung der traditionsbewussten Briten vorgeflogen. Und sie schaut an ihrer einstigen Produktionsstätte, dem Flugplatz Filton bei der Stadt Bristol, vorbei. Auch an Flugtagen in Österreich und den Nachbarländern kommt die seltene Bristol gern zum Einsatz.
Für Blacky Schwarz und seine Kollegen in Salzburg ist die Sycamore ein weiteres Highlight ihrer einzigartigen Flotte klassischer Luftfahrzeuge. Und sie wird im Hangar 7 natürlich ganz besonders umsorgt. Schliesslich ist sie weltweit die letzte Fliegende ihrer Art.
Mit freundlicher Genemigung der "Neue Züricher Zeitung" ein Beitrag von Jürgen Schelling (30.09.2019)
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